Krebserkrankte stellen sich praktisch alle diese Frage. Wieso bin ausgerechnet ich an Krebs erkrankt? Diese in die Vergangenheit gerichtete Frage ist eine Frage nach der Schuld und bleibt meistens unbeantwortet. Krebs bekommen nicht die Schuldigen oder Sündigen. Natürlich gibt es Risikoverhalten, die eine Krebserkrankung begünstigen. Wer nicht raucht, verhindert eine Krebserkrankung nicht, er verhindert wahrscheinlich «nur» Lungenkrebs, kann aber immer noch an einer anderen Krebsart erkranken.
Die wirklich wichtige Frage ist das zukunftsorientierte «und jetzt?». Diese Frage ist eine riesige Herausforderung, denn sie zwingt die Erkrankten, sich mit ihren Hoffnungen und Ängsten auseinanderzusetzen. Ein Teil ihres Körpers verhält sich asozial und gefährdet das Ganze. Wie gehen sie damit um? Rausschneiden, natürlich. Aber genügt das? Und wer sagt, dass es keine unentdeckten Ableger gibt, die den Rest des Körpers weiter vergiften und das Erbe des Übels weitertragen?
Asoziale Elemente, die egoistisch das Ganze gefährden, weil sie auf ihren Vorteil bedacht sind, gibt es auch in der Gesellschaft. Nicht selten weisen sie auf das Äussere, das Fremde hin und bezeichnen es als die Ursache des Übels. Egal ob das Fremde Menschen, neue Technologien oder gesellschaftliche Veränderungen sind. In Wirklichkeit ist das Übel wie beim Krebs Teil des Bestehenden. Der Feind kommt nicht von aussen, er ist unter uns. Er nährt sich von Neid, Gier und Partikularinteressen. Er zehrt unsere Gesellschaft aus, ohne Rücksicht auf Verluste. Asozial eben.
Wie beim Krebs löst das vergangenheitsorientierte «wieso ausgerechnet wir?» das Problem nicht. Auch hier ist die zentrale Frage das zukunftsorientierte «und jetzt?». Wie gehen wir mit Menschen um, die sagen «wir wollen nur gute Steuerzahler anziehen, nicht solche, die die hohle Hand machen» oder «eine KiTA ist etwas Gutes, aber nicht vor meiner Haustür»? Wie gehen wir mit Menschen um, die behaupten ihr Geburtstort sei ihnen wichtig, aber weggezogen sind, weil sie anderswo weniger Steuern zahlen?
Wie für den Krebserkrankten gibt es für den Bürger nur einen Weg, der zum Ziel, also der klärenden Antwort führt. Er muss sich seinen Hoffnungen und Ängsten stellen. Im Gegensatz zum Krebs gibt es hier aber keinen Chirurgen. Menschen, die zu unserer Gesellschaft gehören, kann man nicht einfach rausschneiden, ausschliessen und wegwerfen. Anderseits kann jeder Bürger etwas, was eine gesunde Zelle nicht kann: er kann sich weigern das Gift aufzunehmen, das der Asoziale streut.
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