· 

Wohlstandsperspektive

«Die Jungen brauchen eine Wohlstandsperspektive» schrieb Jürg Grossen, der Präsident der Grünliberalen Partei Schweiz, vor wenigen Monaten in einer Kolumne. Ich liebe das Wort. Einerseits weil es für jeden und jede offen lässt, wie der anzustrebende Wohlstand aussehen soll. Anderseits weil eine Perspektive mehr als eine Hoffnung ist. Es ist eine reelle Chance, ein Ziel zu erreichen.

 

«Das liberale Erfolgsmodell Schweiz gibt eine Art Wohlstandsversprechen.» Grossen beschreibt, das Wohlstandsversprechen müsse «wieder glaubwürdig sein. Wenn uns das jedoch nicht gelingt, wird die Antwort die Zustimmung zu immer mehr Umverteilung und Regulierung sein.»

 

Seit einigen Jahren sinkt in der Schweiz die Kaufkraft der Mittelschicht, ein Phänomen, welches viel früher schon in Grossbritannien, Italien, Frankreich und Deutschland einsetzte. Der drohende Verlust des Lebensstandards veranlasst die Menschen sich auf das finanzielle zu konzentrieren. Das ökonomische Kapital wird gegenüber dem sozialen, kulturellen und symbolischen Kapital bevorteilt, um die Begriffe von Pierre Bourdieu zu verwenden.

 

Konkret bedeutet dies, dass die Menschen ihr soziales Engagement reduzieren, der Kultur weniger Beachtung geben und Begriffe wie «Prestige» an Bedeutung verlieren. Seit Jahren beklagen sich in der Schweiz Vereine, Kirchen und Parteien über die sinkende Bereitschaft der Menschen, ehrenamtlich tätig zu sein.

 

Dies ist eine direkte Folge des liberalen Erfolgsmodell Schweiz. Solange es das Versprechen abgab, dass jede und jeder durch Arbeit Wohlstand erlangen konnte, arbeiteten die Menschen in der Schweiz überdurchschnittlich viel. Glauben sie nicht mehr an dieses Versprechen – und an diesem Punkt ist die Schweiz angelangt – suchen sich nach Alternativen.

 

In unserer direkten Demokratie gibt es politische Alternativen. Grossen spricht sie an: die Zustimmung zu immer mehr Umverteilung und Regulierung. Die Umverteilung ist seit eh und je die politische Alternative der Linken. Die Schweizerische Volkspartei setzt auf die Regulierung der Fremden, der Zuwanderer und Flüchtlinge.

 

Seit Jahren sind diese beiden politischen Blöcke so stark, dass sie die politische Entwicklung hemmen. Verbünden sich ihre Wähler kommt es zur Annahme einer 13.-AHV-Rente und der Ablehnung der BVG-Reform.

 

Zu viele Menschen in der Schweiz haben keine Wohlstandsperspektive mehr.

 

Buchempfehlung

Michael Hermann (2016) Was die Schweiz zusammenhält.

ISBN 978-3-7296-0918-1

 

Trotz vieler regionaler Unterschiede in Bezug auf Sprache, Kultur, Geografie und Wirtschaft ist die Schweiz eine Einheit geblieben und konnte ihre Identität im Laufe der Geschichte sogar festigen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0