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Arme Kinder

Die Kinder scheinen in der Schweiz nicht gemeint zu sein, wenn die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen (Präambel der Bundesverfassung). Gemäss einer OECD-Studie ist die Kinderarmut in der Schweiz durchschnittlich, nahm aber seit 2014 um über 10% zu, während sie im Durchschnitt in den OECD-Ländern um 8% abnahm. In der Studie steht wortörtlich «Thus high national income is no guarantee of success in tackling child poverty, and richer countries within the Report Card have much to learn from poorer ones.» (Ein hohes Nationaleinkommen ist also keine Garantie für den Erfolg bei der Bekämpfung der Kinderarmut, und die reicheren Länder auf der Report Card können viel von den ärmeren Ländern lernen.)


Was die Kombination von Kindheit und Armut anbelangt, hat die Schweiz eine unrühmliche Vergangenheit. Bis weit in die Siebzigerjahre wurden in der Schweiz Kinder verdingt. Die Behörden entzogen sie ihren Eltern etwa dann, wenn diese zu arm waren, sie selbst durchzubringen. Armut galt damals nicht als ein Problem des Staates, sondern als Fehlverhalten des Einzelnen. Sie galt ausserdem als eine Gefahr für das Gemeinwohl. Arme Mütter und Väter, so dachte man, würden die Kinder negativ beeinflussen. Besonders häufig waren uneheliche und Scheidungskinder betroffen. (Süddeutsche Zeitung)


Noch später wurde der Saisonnierstatus und der damit verbundene erschwerte Familiennachzug abgeschafft. Offizielle Zahlen gibt es nicht, aber Historiker schätzen, dass bis zu 500'000 Kinder von ihren Vätern und manchmal beiden Eltern getrennt aufwuchsen. Kinder, die von ihren Eltern illegal in die Schweiz gebracht und vor den Behörden versteckt wurden, werden auf rund 50'000 geschätzt.
Auch wenn sich die Situation in der Schweiz im Vergleich zu anderen OECD-Ländern verschlechtert, so zeigen die Verdingkinder und die Kinder der Saisonnier genauso wie die Ausgrenzung der Alten und der Menschen mit Behinderung, dass die Problematik fehlender sozialer Ressourcen schon seit Jahrzehnten besteht und die Situation sich nicht wirklich verbessert.


Auf unserer Umkehr haben wir Ausschau nach dem sozialen Kapital gehalten, seinen Veränderungen und die Auswirkungen dieser Veränderungen, Wenn die Schweiz auf ihrem Sonderweg irgendwann falsch abgebogen ist, dann liegt diese Abzweigung weit in der Vergangenheit.
Macht eine Umkehr unter diesen Umständen überhaupt Sinn?


Buchempfehlungen
Marina Frigerio Martina (2014) Verbotene Kinder ISBN 978-3-85869-996-1


Marina Frigerio lässt die Kinder erzählen, die mit ihren Eltern in die Schweiz reisten, sich aber verstecken mussten, weil sie nicht da sein durften.

 

Peter Beutler (2024) Trachselwald ISBN  978-3-7408-2316-0

 

In ein Krimi verpackt umschreibt Beutler das Leben von Verdingkindern

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